Reiner Braun am 29.10.2025:Das Glas Wasser

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Reiner Braun ist aktiv in der Friedensbewegung und unter anderem Vorstandsmitglied des „International Peace Bureau“ (Photo: Ferran Cornellà

„Ein großer Krieg wird politisch vorbereitet“ – Wo steht die Friedensbewegung dabei?

Inhalt

Herr Braun, das Glas Wasser ist für manche halb voll, für andere halb leer. Wenn Sie auf die Friedensbewegung Deutschland schauen: Wie sieht es da aus Ihrer Sicht aus?

Wir haben einen durchaus mobilisierenden Aktionsmonat September/Anfang Oktober hinter uns mit drei großen Aktionen: am 13. September die Kundgebung organisiert vom BSW, den 27. September als große Solidaritätsaktion mit Palästina und die bundesweite Friedensdemonstration in Berlin und Stuttgart am 3. Oktober.

Da war viel los – aber nicht genug, oder?

Es bleibt aber dabei: Die Mobilisierung für den Frieden, gegen Krieg und Hochrüstung entspricht lange nicht den Notwendigkeiten, die sich aus der aktuellen Kriegsgefahr und der Kriegsvorbereitung ergeben. Die Friedensbewegung ist noch lange nicht eine gesellschaftlich breit getragene Massenbewegung gegen die Kriegspolitik der Regierenden. Dabei ist das Hauptproblem ihre mangelnde Ausstrahlungskraft, ihre zu geringe Überzeugungsfähigkeit in breite Teile der Bevölkerung. (Noch) ziehen die Lügen und die Feindbildpropaganda des „aggressiven Russen im Vorgarten“, die uns sekündlich über alle Kanäle eingeimpft werden. Deren Wirkung kann und darf nicht unterschätzt werden, unsere Aufklärungsmöglichkeiten dagegen sind begrenzt und sicher auch nicht intensiv und kreativ genug.

Wo liegen die Schwächen aufseiten der Friedensbewegung?

Allein die Frage, wie viele Infostände hat es denn in Vorbereitung der Demonstration am 3. Oktober gegeben, zeigt das Problem, sicher ist bei allen Fortschritten auch unsere Social-Media-Arbeit verbesserungsfähig. Traditionelle Partner wie Gewerkschaften, Kirchen und Umweltverbände sind bei großem Engagement Einzelner und einzelner Initiativen in ihnen – freundlich formuliert – kaum noch aktiv für den Frieden. Ich glaube auch, dass die gesamten Auswirkungen des Kriegskeynesianismus und der wahnsinnigen Hochrüstung in seiner vollen gesellschaftlichen Dimension von vielen noch nicht realisiert sind.

Wie meinen Sie das?

Es überwiegt in breiten Teilen der Bevölkerung nach wie vor eine Haltung der Verunsicherung, des Frusts nach innen, der Ablehnung und Wut ohne persönliches Engagement. Duckmäusertum und Anpassung sind vielfältig anzutreffen, ein politischer Opportunismus weit verbreitet. Das alles trifft auf eine Friedensbewegung, die auch trotz mühsam erreichter Annäherung verschiedener Organisationen und Initiativen nicht über eine überzeugende Ausstrahlung verfügt. Der 3. Oktober war für mich ein Schritt in die richtige Richtung, in Stuttgart mehr noch als in Berlin, aber es bleibt viel Arbeit, viel Gehirnschmalz und wohl auch Selbstüberwindung und die Aufgabe von überkommenden Denkmustern notwendig, um den dramatischen Herausforderungen gerecht zu werden.

Aber was braucht es?

Es bedarf durchaus einer Neuformierung, die sicher – bei aller Wertschätzung des jahrzehntelangen Engagements bewährten Aktiver – auch zu einem Generationswechsel der Verantwortung führen sollte. Kompliziert, herausfordernd, aber notwendig.

Das Interview führte Marcus Klöckner.

Dieses Interview erscheint auf PhenixXenia.org mit Genehmigung der Nachdenkseiten wo es am 29. Oktober 2025 erstmals publiziert wurde.